Edeltrud Meistermann – Studienausgabe
Edeltrud Meistermann
Gesammelte Schriften
Exposé
Zum 100. Geburtstag von Frau Professor Dr. Edeltrud Meistermann hatte die Deutsche Gesellschaft für sozialanalytische Forschung e.V.(DG) zwei Tagungen unter der Überschrift „Von der Einzelanalyse zur Gruppenanalyse zur Sozialanalyse“ vorgesehen und damit eine erste inhaltliche Gliederung für eine kritische Ausgabe ihrer in 93 Lebensjahren geschaffenen schriftlichen Zeugnisse vorgenommen.
Auf der „Tagung I – Die Einzelanalysen“, die am 18. November 2006 in Anwesenheit ihres Sohnes, Herrn Claus Bingemer, stattfand, durfte der Unterzeichner unter der Überschrift „Problematik der Schriften von Frau Meistermann“ über seine Recherche berichten, um dann vom Vorstand der DG mit der weiteren Vorbereitung betraut zu werden.
Dank der Hilfe von Herrn Dr. Rolf-Arno Wirtz konnte eine erste Sichtung der 15 Aktenordner vorgenommen werden, die aus dem Nachlass von Frau Meistermann stammen und von Frau Mechthild Bingemer-Mauthe zur Verfügung gestellt wurden. Hierbei konnten eine Reihe von Reden, unveröffentlichten Aufsätzen und Skizzen ausfindig gemacht werden, vor allem aber ihr Buchmanuskript zur Graphologie, an dem sie bis zuletzt arbeitete, jedoch nicht mehr vollenden konnte.
Anhand dieses Materials sowie der Bibliographie, die der Beitrag „Edeltrud Meistermann-Seeger: Tage des Lichts“ in der von Ludger M. Hermanns 1992 herausgegebenen Schrift „Psychoanalyse in Selbstdarstellungen I“ enthält, wurde eine erste Erfassung ihrer Schriften möglich. Daran schloss sich die Sichtung der 1975 erschienenen Veröffentlichung „10 Jahre Deutsche Gesellschaft für sozialanalytische Forschung e.V. 1965-1975“ an wie auch die der Einladungen zur Kronenburger Woche. Schließlich wurde auf die Einträge zurückgegriffen, die im Internet über die Suchmaschine Google aufgefunden wurden.
Acht Seiten umfasst inzwischen die Bibliographie, aber damit ist eine Vollständigkeit keineswegs erreicht: Vor allem fehlen noch die Aufzeichnungen über die Montagnola-Tagungen, die Kronenburger Wochen, die Freitagsseminare, die Fokaltherapie-Sitzungen, die Deutsche Gesellschaft für sozialanalytische e.V., Köln, sowie das Institut für Familiendiagnostik und Familienberatung e.V., Köln, vom umfangreichen Briefwechsel ganz zu schweigen.
Darum sei hier weiterhin die Empfehlung ausgesprochen, beim Mitarbeiter- und Hörerkreis anzufragen, welches Material, das in der Bibliographie nicht aufgezeichnet ist, zur Verfügung gestellt werden kann.
Band I
Psychoanalyse
Zur Einführung bietet sich der erwähnte Beitrag „Psychoanalyse in Selbstdarstellungen“ an, der die Summe des Lebens und der Erfahrungen von Edeltrud Meistermann darstellt. Er umfasst 48 Seiten. Daran anschließend empfiehlt sich der 1976 im Aloys Henn Verlag Kastellaun erschienene, von Herrn Professor Dr. Alphons Silbermann herausgegebene und von Frau Meistermann zusammengestellte wie kommentierte Reader „Psychoanalyse“, der zugleich das Gliederungsschema der Meistermann-Tagung I und II differenziert und sich überhaupt als Grundlage für eine Zusammenstellung aller von ihr veröffentlichten Schriften anbietet.
Der Reader ist, wie erinnerlich, auf folgende Weise gegliedert:
I Beiträge zu klassischen Themen der Psychoanalyse
– 1. Der Ödipus-Komplex
– 2. Die psychischen Störungen
– 3. Der Tod
II Sozialanalytische Themen
– 1. Familie: Vater – Mutter – Kind
– 2. Geschlechtsunterschied
– 3. Gesellschaft als Großgruppe
III Überlegungen zu Kultur und Kunst und zur Geschichte der Psychoanalyse
– 1. Kultur
– 2. Kunst
– 3. Aus der Geschichte der Psychoanalyse
IV Vorgriffe der psychoanalytischen Theoretiker
Es sind des weiteren die hier unter ihrem Namen Edeltrud Seeger erschienenen, einschlägigen Beiträge aufzunehmen, nicht zuletzt die unveröffentlichten Skizzen und Aufsätze zu den Themen Psychoanalyse allgemein, Traumdeutung, Aggression, Depression, Angst und Tod.
Band II
Methoden und Testverfahren
Edeltrud Meistermann hat sich unter dem Namen Edeltrud Seeger mit Arbeiten über Grundlagen der Psychologie, insbesondere über Testverfahren, der auch ihre Dissertation gewidmet ist, hervorgetan. Namentlich seien hier folgende Arbeiten genannt:
1. System der Eigenschaften. Persönlichkeitstest und Verifizierung der Testergebnisse,
unveröffentlichtes, maschinengeschriebenes, gebundenes Manuskript, ohne Ort und Jahr;
2. Leitfaden der Bilder. Versuch einer neuen Grundlegung der Persönlichkeitserfassung durch
den Rohrschachtest, Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Köln, 1948;
3. Zu einem Testverfahren von Max Pfister, in: Psyche VII, 12/1954, S. 161-172;
4. Sprachgestörte Kinder im Szondi-Test, in: Szondiana VII, 1967;
5. Sozialpsychologische Aspekte eines psychodiagnostischen Tests, Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie, 14. Jg., 1/1962, S. 175-197.
6. Bericht über Untersuchungen mit einem Parallel-Test zum Szondi-Testverfahren, in:
Bericht über das V. Kolloquium der internationalen Forschungsgemeinschaft für
Schicksalspsychologie Löwen 31. August bis 3. September 1969, Beiheft zur
schweizerischen Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen Nr. 54, Szondiana
VIII, Verlag Hans Huber Bern – Stuttgart – Wien 1971, S. 221-;
7. Bericht über Forschungen zu Persönlichkeitstests als Grundlage späterer sozialanalytischer
Aufgaben, ebenda, S. 29-33;
Band III
Sozialanalyse
Der vorgenannte, 1962 veröffentlichte Beitrag über „Sozialpsychologische Aspekte eines psychodiagnostischen Tests“ zeigt, wie weit die Sozialanalyse schon zu diesem Zeitpunkt entwickelt war, will sagen: sie genügte seinerzeit nicht nur den wissenschaftlichen Standards „objektiver Nachprüfbarkeit“, sondern übertraf sie, was die 1969 begonnene Studie „Leben als Gastarbeiter – Geglückte und missglückte Integration“ glänzend unter Beweis stellte und in den übrigen Humanwissenschaften bis heute nicht annähernd erreicht worden ist.
Diese Studie steht also im Mittelpunkt dieses Bandes, ebenso Meistermanns großer Essay „Der Beitrag der Psychoanalyse zur Soziologie“, erschienen im 15-bändigen Lexikon von Kindler „Die Psychologie des 20. Jahrhunderts“ – Band II „Freud und die Folgen I“, wobei der von Edeltrud Meistermann in der 1998 von Hermann-Josef Berk, Hans-Günther Meissner und Wolf Dieter Stelzner veröffentlichten Schrift „Sozialanalytische Zugänge zum Begriff der Arbeit“ als Einführung besonders geeignet ist.
Nach „Leben als Gastarbeiter“ wären die zahlreichen Projekte zu dokumentieren, die in „10 Jahre Deutsche Gesellschaft für sozialanalytische Gesellschaft e.V. 1965-1975“ aufgeführt sind und überwiegend von ihr und ihrem Sohn Karl Bingemer entworfen und zur Projektreife gebracht wurden.
Band III liegt inzwischen vor – siehe die Rubrik „Lieferbare Titel“.
Band IV
Familientherapie
Mit dem 1976 in der Beck’schen „Schwarzen Reihe“ erschienenen Buch „Gestörte Familien – Familiendiagnose und Familientherapie“ erwies sich Edeltrud Meistermann als schöpferische Schülerin ihres Lehrers Michael Balint wie ihres (insgeheimen?) Vorbildes Melanie Klein. Bekanntlich sah sich eine Maud Mannoni noch gezwungen, ihr 1964 in Paris erschienenes Buch „Das zurückgebliebene Kind und seine Mutter“ – auf Deutsch 1972 – angesichts aufgebrachter Mütter abzuschwächen – ähnlich übrigens wie Horst Eberhard Richter in seiner 1963 veröffentlichten Habilitationsschrift „Herzneurose“ dem Kranken Undankbarkeit gegenüber der Mutter bescheinigte, anstatt die „overprotective mother“ zu analysieren.
Meistermann dagegen deckte nüchtern wie beherzt alle Illusionen auf, die sich nur zu oft als Familien-Idylle darstellen und eine Reifung der Eltern wie der Kinder verhindern. Oder, um es mit Kant zu sagen: Die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit unterbleibt auf sträfliche Weise. Wie aktuell diese Schrift ist, beweist die Dutroux-Affäre in Belgien, die dazu geführt hat, dass das erschreckende Ausmaß des Kindermissbrauchs in den Kirchen und Internaten endlich ins öffentliche Bewußtsein gedrungen ist.
Dem Buch lassen sich sinnvollerweise Beiträge wie „Der Vater in der Grundstörung“ oder „Was ist ein Kind“ anschließen – vor allem aber die Schrift „Erste Begegnungen oder Ur-Sachen“, erschienen 1984.
Band V
Kurztherapie Fokaltraining
Mit der im Münchner R. Oldenbourg Verlag 1986 erschienenen Studie „Kurztherapie Fokaltraining – Die Rückkehr zum Lieben“ bündelt Edeltrud Meistermann ihre Einsichten und entwickelt noch mutiger die aus Psychoanalyse und Sozialanalyse gewonnenen therapeutischen Möglichkeiten. Ihr gelingt es, die von Anna Freud gefürchtete und darum abgelehnte Behandlung von Psychosen buchstäblich zu meistern, indem die von diesen Krankheitszuständen ausgehenden negativen Schwingungen in der Großgruppe aufgefangen werden. Melanie Klein wird somit auf das schönste bestätigt, ebenso Wilfred Ruprecht Bion, dessen Buch „Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften“, erschienen 1961 in London – auf Deutsch 1971 – die von Meistermann entwickelte sozialanalytische Fokaltherapie vertieft hat.
In diesem Band müssen folgerichtig – so weit vorhanden – die Aufzeichnungen der Montagnola-Tagungen, der Kronenburger Wochen, der Freitagsseminare sowie die von Meistermann verfassten Papiere dokumentiert werden, die zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für sozialanalytische Forschung e.V. sowie des Instituts für Familiendiagnostik und Familienberatung e.V.geführt haben.
Band VI
Kult(ur) und Kunst
Graphologie
Edeltrud Meistermann zeigte sehr früh ihr Interesse an der Kunst, die dann in der Ehe mit Georg Meistermann gelebten Ausdruck fand. Ihre unter dem Namen Ed. Lindner verfassten Schriften – siehe S. 1 der Bibliographie – sollten am Anfang dieses Bandes stehen, während die Schriften der 1990er Jahre den Band beschließen, in denen sich Meistermann immer stärker wieder der Kunst und der Religion zuwandte.
Da die Kunst aus den religiösen Kulten hervorgegangen ist, sollten hier auch die Predigten herangezogen werden, die sie in der von Herrn Dr. Friedhelm Mennekes, SJ, gegründeten „Kunst-Station“ in Sankt Peter auf der Kölner Ibach-Strasse 1 gehalten hat. In diesem Zusammenhang sei auf das mit ihm 1998 verfasste Buch „Zittauer Fastentuch“ hingewiesen.
Edeltrud Meistermanns große Sensibilität wird vielleicht am deutlichsten in ihren graphologischen Studien sichtbar: man nehme nur die Kapitelüberschrift ihrer nachgelassenen, unvollendeten Schrift über Graphologie – siehe S. 6 der Bibliographie: „Das innere Gefüge des Strichs – Die Tintigkeit“. Und gerade darum sollten alle Anstrengungen gemacht werden, auch dieses Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Alles in allem: die Herausforderung an die Herausgeber ist groß, groß aber ist auch der künftige Gewinn, womit ich die unumkehrbare Etablierung der Sozialanalyse und der Fokaltherapie meine als Hilfen auf dem „zweiten Weg der Aufklärung“, den Freud als erster beschritt.
Wolfgang Henrich