Ansprache Wolfgang Henrich zur Buchvorstellung „Zum Erwachen der Psychoanalyse“ von Hermann-Josef Berk

Hermann-Josef Berk
Zum Erwachen der Psychoanalyse – Der zweite Weg der Aufklärung

Essay, 160 S., Englische Broschur, 24.– €

Ansprache von Wolfgang Henrich, Urheber Verlag, anlässlich der Pressekonferenz in der Buchhandlung am Chlodwigplatz, Ubierring 6, 50678 Köln, Samstag, den 19. Mai 2007, 17.00 Uhr

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

bevor heute Herr Dr. Hermann-Josef Berk, der nicht zuletzt durch den WDR als Psychotherapeut und Medienpsychologe über Köln hinaus bekannt geworden ist,  zu Ihnen über seinen Essay „Zum Erwachen der Psychoanalyse – Der zweite Weg der Aufklärung“ spricht, möchte ich die 68er unter Ihnen an den Essay „Dialektik der Aufklärung“ erinnern, den Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1944 in einer ersten Fassung in New York undin seiner endgültigen Fassung 1947 im Querido-Verlag in Amsterdam veröffentlichten.

Sie werden sich daran erinnern, dass dort die Gestalt des Odysseus auftauchte als ein früher Zeuge der abendländischen Zivilisation, als vormoderner Aufklärer, der sich dem Mythos einer von Göttern beseelten Natur und den daraus erwachsenen Riten widersetzt, indem er auf seinen Irrfahrten daran geht, die Welt wissenschaftlich zu betrachten. Berk hat sich seinem beruflichen Selbstverständnis entsprechend natürlich der Gestalt des Ödipus zugewandt, nachdem im vor 14 Tagen ausgegangenen Freud-Jahr Peter Sloterdijk in „Zorn und Zeit“ die dem Odysseus ähnliche Ödipus-Figur bewusst verkannte. Weshalb ich mich auch schon auf das nun unvermeidliche Streitgespräch zwischen ihm und Berk freue, was der billigen Polemik gegenüber der Freudschen Theorie vom Ödipus-Komplex ein Ende setzen sollte.

Aber zurück zu Horkheimer und Adorno: sie stehen in der Tradition von Baruch Spinoza, der, wenn wir ehrlich sind und auf Heinrich Heine hören, der Begründer der modernen Religionskritik ist, wie ja auch vor den beiden schon Sigmund Freud – nicht zuletzt durch seine Studie „Der Mann Moses“, worin eingelöst wurde, dass „Aufklärung der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ wird, wie Kant es in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ formuliert hat. Und darauf spielt der Stierkopf auf dem Cover des Buches an, auf den Freud seinen Kollegen Wilhelm Fließ aufmerksam machte: „Hast Du gelesen, daß die Engländer auf Kreta (Knossos) einen alten Palast ausgegraben haben, den sie für das richtige Labyrinth des Minos erklären? Es scheint, daß Zeus ursprünglich ein Stier war. Auch unser Gott soll zuerst, vor der durch die Perser angeregten Sublimierung, als Stier verehrt worden sein…“ Und, um Ihnen auch gleich die auf dem Titelblatt abgebildete Zeichnung zu erklären: es stellt das Sexualschema dar, das Freuds Brief an Wilhelm Fließ vom 20. Oktober 1895 beigefügt war.

Und noch einmal zurück zur „Dialektik der Aufklärung“, die im 1. Kapitel mit folgender Feststellung beginnt: „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“

Berks Essay setzt vor diesem Hintergrund ein, indem er erklärt, warum die in der Renaissance wiederbelebte naturwissenschaftliche Betrachtungsweise von Aristoteles bis Plotin sich strikt nur auf die sichtbare Welt beschränkt, warum unsere Ärzte bis heute die antike Seelenkunde, wie sie in den Traumbüchern Ägyptens oder Tibets festgehalten war, verdrängt haben und so dann auch Freuds Traumdeutung und die daraus entwickelte Psychoanalyse.

Zu lange war der fortschrittliche Mythos vom Gott, der selber Mensch wurde, von den Kirchen dazu missbraucht worden, die Herrschaft über die Gläubigen zu legitimieren. Denn die ursprüngliche Sorge um die Seele hatte sich in todbringende Einschüchterung verkehrt – ob im Beichtstuhl bis hin zur Folterbank oder im Ritual der Selbstanklage, wie es ja bis heute die sogenannten Freikirchen und ihre säkularen Ableger fordern – denken Sie nur an die Schauprozesse, die in den totalitären Regimen auf der Tagesordnung sind.

Aber bei aller berechtigten Sorge: wir haben nun einmal nicht bloß einen Körper, der Mensch ist nicht „l’homme machine“, wie der Cartesianer Julien Jean Offray de La Mettrie am Hofe Friedrich des Großen uns weismachen wollte, sondern er besitzt eine Seele, die sich nicht abtun lässt, nur weil man sie nicht sehen kann. Wenn wir es also richtig besehen, dann stehen wir vor der großen Herausforderung, in der von den Naturwissenschaften zum Objekt gemachten Welt die Seele nicht länger zu ignorieren, ohne dass wir aber dem alten Aberglauben verfallen, zumal an dessen Stelle – nach Faschismus und Kommunismus – schon der Glaube an die Informationstechnologie getreten ist und nun seinerseits als fauler Zauber auffliegen muss.

Doch lassen Sie sich das von Dr. Berk selbst erklären. Ich möchte hier nur noch sagen, wie viel an politischem Verständnis ich persönlich der sog. Kölner Schule verdanke, und zwar dadurch, dass sie konsequent empirische Soziologie und Sozialpsychologie betrieb. Verspottet als Fliegenbeinzählerei war es die Kölner und nicht die Frankfurter Schule, die Wahlprognosen und Meinungsumfragen von so hoher Signifikanz entwickelte, dass unsere Politiker sie zu fürchten gelernt haben – denken Sie nur an die zeitweilige Marginalisierung des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (Infas), um mich vornehm auszudrücken.

Wer hat also den Sozialwissenschaften dieses Profil gegeben? Es war der Emigrant René König, der die „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ zum führenden Organ der Zunft machte, er war es, der Persönlichkeiten wie Alphons Silbermann oder Erwin K. Scheuch als Mitstreiter gewann, die alle noch wussten, dass eine Professur nicht Profit bedeutet, sondern Profess, Bekennermut. Und so setzte René König mit Günter Schmölders, der uns die Geldillusion nahe brachte, die Psychoanalyse in ihre Rechte ein, die bekanntlich von Matthias Heinrich Göring, einem entfernten Verwandten des Reichsmarschalls Göring, im „Dritten Reich“ zur „Tiefenpsychologie“ herabgewürdigt worden war.  

Und wen betrauten König und Schmölders mit dieser Aufgabe? Sie betrauten eine Frau damit, nämlich Edeltrud Meistermann. Und diese wiederum war es, der es tatsächlich gelang, Psychoanalyse und Soziologie zur Sozialanalyse zu verschmelzen, wobei Dr. Berk ihr „Brüter“ war, wie sie sich ausdrückte. Ich erinnere Sie an die ihr von der Stadt Köln Ende der 1960er Jahre in Auftrag gegebene Studie „Leben als Gastarbeiter – geglückte und missglückte Integration“, dank derer die politischen Irrtümer resp. Fehleinschätzungen bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte aufgedeckt wurden und, so weit man die Analyse akzeptierte, etwa bei Ford, die Verhältnisse dann auch bessern konnte.

Für mich als Verleger ist es daher eine große Ehre, dass ich in diesen Tagen von der Deutschen Gesellschaft für sozialanalytische Forschung e.V., Köln, dessen Präsident Dr. Berk ist, den Auftrag erhalten habe, die kritische Gesamtausgabe der Schriften von Edeltrud Meistermann zu betreuen.

Doch so weit erst einmal, meine Damen und Herren. Ich darf nun Dr. Berk als Autor bitten, Ihnen sein Buch „Zum Erwachen der Psychoanalyse – Der zweite Weg der Aufklärung“ vorzustellen.

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